Hab euch ja noch ne Geschichte versprochen:
Der 17. Dezember»Ich möchte nur wissen, wo Vater heute so lange
bleibt«, sagt Mutter. »Er müsste doch längst zu
Hause sein! «
»Ich stell mich ans Fenster«, ruft Schnüpperle, »und
sag dir' s, wenn er kommt.« Schnüpperle steckt den
Kopf hinter den Vorhang. Draußen ist es stockfinster,
aber wenn Vater an der Laterne vorbeifährt, kann
Schnüpperle das Auto erkennen.
»Ob wir ihm bis zur Ecke entgegengehen?«
»Lieber nicht«, wehrt Mutter ab. »Bevor ihr Mäntel
und Stiefel anhabt, ist er vielleicht schon da. Aber
den Tisch könntet ihr schon decken.«
Schnüpperle nimmt das Tischtuch aus der Schublade
und Annerose deckt es auf.
»Schief! «, sagt Schnüpperle und zupft es zurecht.
Dann nimmt Annerose Teller und Tassen aus dem
Schrank. Schnüpperle verteilt sie auf die vier Plätze.
»Jetzt Messer und Gabel und kleine Löffel«, sagt
Schnüpperle.
»Weiß ich selber«, sagt Annerose.
Als Annerose das Besteck abzählt, geht die Haustür
auf, und im nächsten Augenblick prasselt es in den
Vorflur, dass ihnen Hören und Sehen vergeht.
Annerose schiebt mit einem Ruck den Besteckkasten
zu und lässt die Arme sinken. Schnüpperle hält sich
Mutters Schürze vors Gesicht.
»Das war der Knecht Ruprecht! «, ruft Mutter. »Er
hat euch was ins Haus geworfen.«
Schnüpperle zieht die Schürze vorsichtig vom
Gesicht herunter.
»Ist er jetzt wieder fort?«
»Längst«, sagt Mutter.
»Oh, ich geh nachsehen«, sagt Annerose und macht
die Küchentür auf.
»Kommst du mit, Mutter?«, fragt Schnüpperle und
fasst mit beiden Händen nach Mutters Arm.
»Ja, ich komm mit.«
»Nüsse!«, ruft Annerose schon. »Lauter Nüsse! Und
manche sind vergoldet.«
Jetzt rennt auch Schnüpperle los.
»Ooch, so viele Nüsse! «, ruft Schnüpperle. »So viele!
Und Patentnüsse sind auch dabei!«
»Paranüsse heißen sie«, sagt Annerose.
»Meinetwegen, aber der Knecht Ruprecht hat genau
gewusst, dass ich Patentnüsse so gern mag. Mutter,
wollen wir mal gucken, ob wir den guten Knecht
Ruprecht sehen können?«
»Gerade hast du noch solche Angst gehabt«, sagt
Annerose.
»Gar nicht wahr. Ich hab mich bloß erschrocken.«
Mutter klinkt die Haustür auf. Schnüpperle steckt
nur den Kopf um die Ecke.
»Nichts mehr zu sehen«, sagt Schnüpperle,
ȟberhaupt nichts mehr, auch kein Zipfelchen von
seinem Pelz mehr - schade! Hätte ich bloß eher
daran gedacht!«
»Seht mal, wer da kommt«, ruft Mutter.
»Vater! Vater!«, rufen Annerose und Schnüpperle zu
gleicher Zeit. »Der Knecht Ruprecht war gerade bei
uns. Er hat so viele Nüsse - bei uns war er - ins Haus
geworfen hat er die Nüsse - hast du ihn noch
gesehen? «
»Und ob ich ihn noch gesehen habe! «, antwortet
Vater. »Er ist auf mich zugekommen und hat gesagt,
heute Abend käme das Christkind zu uns. Aber nur,
wenn. .. ihr... na, das wisst ihr schon.«
»Heute Abend? «, rufen Annerose und Schnüpperle
wieder zu gleicher Zeit.
»Wegen Tinas Taufkleid?«, fragt Annerose. »tJnd
wegen Tinas Himmelbett?«
»Fragst du es auch nach meinem Hund?«
»Ja, Schnüpperle«, antwortet Mutter. »Aber was das
Christkind mir sagt, das erfährst du nicht, da kannst
du fragen, was du willst.«
»Och, du! «, sagt Schnüpperle und lacht.
Gleich nach dem Abendbrot wollen Annerose und
Schnüpperle ins Bett. Der Kuckuck ruft einmal, da ist
es halb acht, der Kuckuck ruft achtmal, sie schlafen
immer noch nicht. Sie liegen still und lauschen, ob
die Haustür geht oder die Tür zum Garten.
»Wenn man bloß wüsste, ob's schon da ist«, flüstert
Annerose.
»Wenn man's bloß wüsste«, flüstert Schnüpperle.
»Mir ist so heiß, ich muss mich aufdecken«, flüstert
Annerose.
»Mir ist genauso heiß«, flüstert Schnüpperle.
»Annerose, ich glaube, ich hab mir heute Abend die
Zähne nicht geputzt. Ob ich noch gehe?«
»Nein, das Christkind hört dich.«
»Wenn's schon da ist - sonst nicht.«
»Und wenn's gerade kommt? Bleib bloß liegen«, sagt
Annerose. »Wenn Tina da wäre, würde ich mir Tina
ins Bett holen, da schliefe ich bestimmt ganz schnell
»Soll ich dir Dicki borgen?«
»Nein, mit Dicki geht's nicht. Dicki gehört zu dir.«
»Annerose, ich glaube, mir wird schlecht.«
»Bildest du dir bloß ein. Das ist die Aufregung.«
»Annerose, ich glaube, mir ist doch richtig schlecht.
Mutter muss kommen.«
. »Ich geh aber nicht runter.«
»Ob wir rufen?«
»Ich rufe nicht! Leg dich rum, da wird dir schon
besser werden.«
»Annerose, ich hab so Durst. Wenn ich was trinke,
wird mir bestimmt wieder gut.«
»Ich hole aber kein Wasser, da kannst du machen,
was du willst.«
»Wollen wir zusammen gehen?«
»Ich nicht. Ich will mir' s beim Christkind nicht
verderben. «
»Annerose, mir tut der Bauch weh. Bestimmt, das ist
nicht eingebildet.«
»Sei mal still!«
»Was ist, Annerose?«
»Jetzt gerade hat was ganz fein geklingelt.«
»Bestimmt? «
»Ja, fast so fein wie am Heiligen Abend zur
Bescherung. «
»Ich hab nichts gehört.«
»Konntest du auch nicht, weil du dauernd geredet
hast. Aber ich habt s gehört.«
»Dann ist's jetzt da!«, sagt Schnüpperle. »Endlich! -
Annerose, ich glaubet jetzt ist mir wieder wohler.«

Aus: Schnüpperle 24 Geschichten zur Weihnachtszeit
Freundschaft ist nicht nur ein köstliches Geschenk,sondern auch eine dauernde Aufgabe. (Ernst Zacharias)